Die Europäische Kommission veröffentlichte einen Richtlinienänderungsentwurf mit dem Ziel der Verhinderung der Einschaltung von Briefkastenfirmen („shell entities“). Vorbehaltlich der Zustimmung durch die Mitglieder schafft damit die EU die dritte „Anti Tax Avoidance Richtlinie“ (ATAD 3), welche ein wichtiges Instrument gegen internationale Steuervermeidung sein könnte.
Die ATAD 3 findet auf alle Unternehmen, ungeachtet ihrer Rechtsform, Anwendung, die wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, in einem EU-Mitgliedstaat ansässig sind und berechtigt sind, eine steuerliche Ansässigkeitsbescheinigung ausgestellt zu bekommen. Ausgenommen sind jene Unternehmen, die ein angemessenes Maß an Transparenz aufweisen, wie zB börsennotierte Unternehmen oder regulierte Finanzunternehmen.
Ist ein Unternehmen nicht ausgenommen, so wird ein zweistufiger Substanztest durchgeführt, um Briefkastenfirmen zu identifizieren.
In der ersten Stufe (Gateway-Test) wird die Art der Einkünfte, die grenzüberschreitenden Tätigkeiten sowie das Management überprüft. Dabei müssen folgende Kriterien kumulativ erfüllt sein:
- Mehr als 75% der Erlöse der letzten zwei Steuerjahre setzen sich aus „relevanten Einkünften“ zusammen. Darunter fallen im Wesentlichen passive Einkünfte wie Zinsen und sonstige Erträge aus Finanzvermögen einschließlich solcher aus Kryptowährungen, Lizenzen, Dividenden, aber auch Einkünfte aus unbeweglichem und beweglichem Vermögen. Unternehmen, die keine Einkünfte erwirtschaften, fallen dennoch unter diesen Punkt, wenn der Buchwert bestimmter Vermögensgegenstände mehr als 75% des Gesamtvermögens des Unternehmens überschreitet.
- Das Unternehmen erwirtschaftet mehr als 60% seines Einkommens durch grenzüberschreitende Tätigkeiten oder mehr als 60% der Vermögenswerte des Unternehmens liegen außerhalb des EU-Mitgliedstaates, in dem es ansässig ist.
- Das Unternehmen hat in den vergangenen zwei Steuerjahren seine eigene Verwaltung an Dritte ausgelagert.
In der zweiten Stufe muss das Unternehmen, sofern ihm nach dem „Gateway-Test“ ein hohes Risiko anhaftet, in der jährlichen Steuererklärung bestimmte Indikatoren nachweisen:
- Das Unternehmen verfügt im Mitgliedstaat über Geschäftsräumlichkeiten.
- Das Unternehmen nützt zumindest ein Bankkonto aktiv innerhalb der EU.
- Das Unternehmen verfügt über ein eigenes aktives Management oder eigene Arbeitnehmer, die in der Nähe des Unternehmens ansässig sind.
Kann das Unternehmen einen dieser Indikatoren nicht nachweisen oder nicht zufriedenstellend belegen, besteht die Vermutung einer Briefkastenfirma im Sinne der Richtlinie. Eine Widerlegung dieser Vermutung ist durch zusätzliche Beweismittel möglich. Diese Widerlegung gilt für 1 Jahr (verlängerbar auf 5 Jahre) und es besteht die Möglichkeit auf Befreiung von der Meldepflicht mangels Vorliegens eines Steuervorteils.
Wird ein substanzloses Unternehmen (Briefkastenfirma) vermutet und nicht widerlegt, treten folgende steuerlichen Sanktionen ein:
- Die Versagung von Steuervorteilen auf Grund eines DBA, der Mutter-Tochter-Richtlinie und der Richtlinie über Zins- und Lizenzgebühren.
- Die Anteilseigner der Briefkastenfirma werden in ihren Ansässigkeitsstaaten so besteuert, als wären ihnen die Einkünfte direkt zugeflossen („steuerlicher Durchgriff“).
- Es werden keine bzw nur eingeschränkte steuerliche Ansässigkeitsbescheinigungen ausgestellt.
Neben den steuerlichen Sanktionen werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, effektive, verhältnismäßige und abschreckende Strafen einzuführen. Die Mindeststrafe ist mit 5% des im jeweiligen Steuerjahr erzielten Umsatzes vorgesehen, wenn ein berichtspflichtiges Unternehmen seinen Erklärungspflichten nicht nachkommt oder falsche Angaben macht. Zwar sollen diese Vorschriften – vorbehaltlich der Zustimmung der Mitgliedstaaten – erst ab 2024 gelten, die Substanzprüfung wird sich hingegen zum Teil bereits auf die Vorjahre 2022 und 2023 beziehen.